Druck

Lutz Hegemann, Sie begannen Ihre Karriere als Arzt und Wissenschaftler im öffentlichen Gesundheitswesen. Was hat Sie dazu bewogen, in den Privatsektor zu wechseln?

Lutz Hegemann: «Ich habe sehr gerne als Arzt gearbeitet. Der Unterschied besteht darin, dass ich als Arzt nur jeweils einzelne Patientinnen und Patienten behandeln konnte. Der Privatsektor bietet jedoch die Möglichkeit, Einfluss auf das Leben einer ganzen Bevölkerung zu nehmen. Ende der 1980er Jahre sammelte ich meine ersten Erfahrungen im öffentlichen Gesundheitswesen bei der Behandlung von Lepra in Indien. Zu diesem Zeitpunkt hatten wir endlich die Möglichkeit, diese stigmatisierende Krankheit mit einem Medikament zu behandeln, das von einem Vorgängerunternehmen von Novartis entwickelt worden war. Zu erleben, dass an Lepra erkrankte Menschen behandelt werden können und die Krankheitslast einer ganzen Bevölkerung verringert werden kann, hat bei mir einen tiefen Eindruck hinterlassen.»

Bei Novartis sind Sie der Präsident des Bereichs Global Health & Sustainability. Was steht im Fokus der Arbeit Ihres Teams?

Lutz Hegemann: «Wir wollen unsere neuen Arzneimittel so vielen Menschen wie möglich zugänglich machen. Im Bereich Global Health konzentrieren wir uns auf vernachlässigte Patientinnen und Patienten, vernachlässigte Krankheiten und vernachlässigte Länder, die aufgrund ihrer mangelnden wirtschaftlichen Attraktivität nicht zu unserem Kerngeschäft zählen. Wir verfügen über ein eigenes Forschungszentrum für Tropenkrankheiten in Kalifornien, wir führen klinische Entwicklungsprogramme durch und bringen Medikamente in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen auf den Markt. Wir befassen uns mit Krankheiten wie Malaria, Leishmaniose und Dengue-Fieber, von denen vor allem ärmere Länder und vulnerable Bevölkerungsgruppen betroffen sind.»

Sie sind jetzt seit über einem Jahr Mitglied des Swiss TPH-Kuratoriums. Welche Eindrücke haben Sie gewonnen und wie können Sie Ihre Erfahrungen einbringen?

Lutz Hegemann: «Novartis arbeitet seit vielen Jahren mit dem Swiss TPH bei der Entwicklung, Umsetzung und Evaluierung von Gesundheitsprogrammen zusammen. Für mich ist es daher eine Ehre und auch eine Freude, dem Kuratorium anzugehören und meine Erfahrung einzubringen. Das Kuratorium ist sehr engagiert, kooperativ und führt viele unterschiedliche Betrachtungsweisen zusammen. Ich möchte meine Erfahrung bei der Schaffung und Durchführung weitreichender globaler Gesundheitsprogramme einbringen. Auch möchte ich die Standpunkte des Privatsektors und der Länder mit niedrigem und mittlerem Einkommen verdeutlichen. Dabei stütze ich mich auf meine in mehr als zwei Jahrzehnten erworbene umfassende Kenntnis der Arbeit mit solchen Bevölkerungsgruppen. Ich bin der festen Überzeugung, dass Pharmaunternehmen viel mehr tun können, als nur Medikamente herstellen – Partnerschaften mit öffentlichen und privaten Organisationen bieten uns die Möglichkeit, aktiv am Aufbau besserer Gesundheitssysteme mitzuwirken.»

 

«Partnerschaften zwischen Forschungsinstituten, politischen Institutionen, lokalen Gesundheitsdienstleistern und dem Privatsektor können sehr produktiv sein.»

 

 

Worin liegt die Bedeutung von weltweiten Partnerschaften in Forschung und Entwicklung (F&E)? Wie funktionieren sie? Was hat Novartis dazu bewogen, diese Partnerschaften einzugehen und welche Herausforderungen sehen Sie dabei?

Lutz Hegemann: «Die Herausforderungen unserer Zeit können nicht von einzelnen Ländern, Sektoren oder Organisationen bewältigt werden. Sie können nur durch sektorübergreifende Partnerschaften angegangen werden. Dafür benötigt man eine gemeinsame Vision dessen, was erreicht werden soll. Ausserdem braucht man die komplementären Fähigkeiten und Erfahrungen verschiedener Partnerorganisationen. Partnerschaften wie z. B. zwischen Forschungsinstituten, politischen Institutionen eines Landes, lokalen Gesundheitsdienstleistern und dem privaten Sektor können sich als sehr produktiv erweisen. Es ist nicht immer leicht, solche Partnerschaften aufzubauen, aber nur so kann man nachhaltige Wirkungen erzielen. Erfolgreiche Partnerschaften erfordern die Motivation und die Bereitschaft aller Beteiligten, ihre Ressourcen und ihr besonderes Know-how einzubringen.»

Lepra zählt zu den vernachlässigten Tropenkrankheiten. Wie können Partnerschaften zwischen der pharmazeutischen Industrie und Organisationen wie dem Swiss TPH dazu beitragen, die Probleme bei der Behandlung und Eliminierung der Lepra zu bewältigen?

Lutz Hegemann: «Heute sind viele Menschen überrascht, wenn sie erfahren, dass es Lepra überhaupt noch gibt. Der Kampf gegen diese Krankheit liegt mir aufgrund meiner früheren Erfahrungen mit Leprabetroffenen sehr am Herzen. Die weltweite Prävalenz der Lepra ist in den vergangenen vier Jahrzehnten seit der Einführung der Kombinationstherapie (Multi-Drug Therapy, MDT) um mehr als 95 % zurückgegangen. Inzwischen hat die Kurve jedoch ein Plateau erreicht. Nun gilt es, die letzten Schritte zur Eliminierung der Krankheit erfolgreich zurückzulegen. Wir sind in der Lage, Lepra zu diagnostizieren, wir verfügen über wirksame Behandlungen, aber wir müssen die verbleibenden Erkrankten erreichen, die oft an abgelegenen Orten leben. Gemeinsam mit dem Swiss TPH und Partnerinstitutionen in Tansania planen wir eine Durchführbarkeitsstudie mit dem Ziel, Patientinnen und Patienten so früh wie möglich zu behandeln, um die Entwicklung irreversibler Deformationen zu verhindern, und Kontaktpersonen prophylaktisch zu behandeln, um die Übertragungswege zu unterbrechen. Ich setze grosse Hoffnungen in diese Zusammenarbeit.»

 

«Steigende Temperaturen, extreme Wetterbedingungen und schlechte Luftqualität führen zu raschen Veränderungen der Krankheitsmuster.»

 

 

Wenn wir einen Blick in die Zukunft richten, wo liegen Ihrer Meinung nach die wichtigsten Prioritäten und Chancen für die neue 4-Jahres-Strategie des Swiss TPH 2025 – 2028?

Lutz Hegemann: «Die Veränderungen der Umwelt müssen sich in den Prioritäten im Gesundheitswesen niederschlagen. Steigende Temperaturen, extreme Wetterbedingungen und schlechte Luftqualität führen zu raschen Veränderungen der Krankheitsmuster und machen die menschliche Gesundheit zum Abbild des Klimawandels. Die Entdeckung von Dengue-Fieber übertragenden Stechmücken in Pariser Vororten oder Leishmanien-infizierten Sandmücken in den Südstaaten der USA sind unübersehbare Indizien für die Auswirkungen des Klimawandels auf die globale Gesundheit. Daran wird deutlich, dass sich solche Krankheiten inzwischen auch ausserhalb der traditionellen tropischen und subtropischen Regionen ausbreiten. Klimawandel, Migration, Verstädterung, Alterung oder Beeinträchtigung der psychischen Gesundheit sind Makrotrends, die sich auf die Gesundheit auswirken und sich bereits in vielen Swiss TPH-Projekten widerspiegeln. Das Swiss TPH kann eine noch wichtigere Rolle spielen, indem es Daten zur Verfügung stellt und anderen Organisationen zeigt, wie diese globalen Herausforderungen angegangen werden können.»

Können Sie dazu ein Beispiel nennen?

Lutz Hegemann: «Ein Beispiel ist die Entwicklung neuer Medikamente. Wir können die Herausforderungen von morgen nicht mit den Mitteln von gestern bewältigen. Bei Malaria, gegen die seit 25 Jahren kein neues Medikament mehr entwickelt wurde, nimmt die Arzneimittelresistenz ständig zu. Novartis wird demnächst gemeinsam mit dem Swiss TPH eine klinische Phase-III-Studie für ein neues Malariamittel starten. Wir müssen auf diese vernachlässigten Krankheiten fokussiert bleiben und uns für Investitionen in den Bereichen Forschung und Entwicklung einsetzen.»

Was war bisher die wertvollste Erfahrung bei Ihrer Arbeit zugunsten der Verbesserung des Zugangs zu medizinischer Versorgung insbesondere vor dem Hintergrund mangelnder Ressourcen?

Lutz Hegemann: «Globale Gesundheitsprobleme lassen sich nicht von einem klimatisierten Büro in Basel aus lösen. Ich halte es für wichtig, Zeit mit den betroffenen Menschen und unseren Partnern in diesen Ländern zu verbringen und den Kontakt zu ihnen zu pflegen. Denn nur so kann man sich einen Überblick darüber verschaffen, was wir bei diesen Bevölkerungsgruppen tatsächlich bewirken. Die Erfolge, die wir als globale Gemeinschaft im Kampf gegen Lepra erzielt haben, oder die Tatsache, dass die Malaria in weiten Teilen der Welt unter Kontrolle gebracht werden konnte, sind Feststellungen, die mich nach mehr als 25 Jahren Arbeit in diesem Bereich mit grosser Hoffnung erfüllen. Letztendlich sind es aber nicht die Zahlen, auf die es ankommt, sondern die Menschen, die dahinter stehen.»

Lutz Hegemann