Swiss TPH-Symposium: Eine Forschungsagenda für Noma

20.09.2024

Das Schweizerische Tropen- und Public Health-Institut (Swiss TPH) hat heute am 20. September in Allschwil ein Symposium organisiert zum Thema “Defining the Noma Research Agenda”. Das Symposium brachte rund 100 Fachleute aus Wissenschaft, öffentlichem Gesundheitswesen, Politik und Gesundheitsförderung sowie Noma-Überlebende zusammen. Ziel des Anlasses war es, die Kräfte im Kampf gegen Noma zu bündeln und eine gemeinsame Forschungsagenda zu definieren. Noma ist eine schwere und schnell fortschreitende Krankheit, die vor allem Kinder in extremer Armut betrifft.

Das Symposium brachte Wissenschaftlerinnen, Experten und Noma-Überlebende zur Entwicklung einer Forschungsagenda für Noma zusammen. Von links nach rechts: Maria Guevara (Médecins Sans Frontière), Marta Ribes (Barcelona Institute for Global Health), Vava Muendane, Mulikat Okanlawon, Claire Jeantet (alle 3: Elysium). Foto: J. Pelikan/Swiss TPH

Wachsende Anerkennung einer unsichtbaren Krankheit

Noma ist eine verheerende Krankheit, die vor allem Kinder betrifft, die in extremer Armut leben. Die Krankheit beginnt scheinbar harmlos mit wundem Zahnfleisch und leichtem Mundgeruch. In diesem Stadium könnte die Krankheit mit einem Breitband-Antibiotikum leicht geheilt werden. Bleibt sie unbehandelt, greift die Infektion auf das umliegende Gewebe über und führt innerhalb weniger Tage zur Nekrose. Zuerst sterben die Weichteile ab, dann werden Knorpelstrukturen und Knochen angegriffen und von der Infektion regelrecht zerfressen.

Bis zu 90 Prozent der Betroffenen sterben an Noma, wenn sie nicht behandelt werden. Noch immer sind viele Aspekte von Noma unbekannt, vom genauen Verlauf der Krankheit bis hin zur Zahl der Betroffenen. Ende 2023 wurde Noma von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) offiziell als vernachlässigte Tropenkrankheit (neglected tropical disease, NTD) anerkannt. Diese Entscheidung wird hoffentlich dazu beitragen, dass Noma weltweit die Aufmerksamkeit erhält, die es dringend braucht.

Eine Forschungsagenda für Noma

Das Swiss TPH nutzte heute den Schwung der zunehmenden weltweiten Anerkennung und brachte rund 100 Wissenschaftlerinnen, Gesundheitsexperten und Fachpersonen aus der ganzen Welt sowie Noma-Überlebende aus Nigeria und Mosambik zusammen. Das Symposium wurde gemeinsam mit der Vereinigung von Noma-Überlebenden «Elysium» organisiert und fand in Allschwil bei Basel statt. Ziel war es, eine gemeinsame Forschungsagenda festzulegen, um die Faktenlage zu verbessern und eine klare Strategie im Kampf gegen Noma zu erarbeiten.

«Die Entscheidung der WHO, Noma in die offizielle Liste der vernachlässigten Tropenkrankheiten aufzunehmen, ist ein wichtiger Meilenstein im Kampf gegen die Krankheit. Es ist nun zentral, dass die Forschungsgemeinschaft und die wichtigsten Akteure im Bereich der globalen Gesundheit eng zusammenarbeiten, um bestehenden Wissenslücken zu schliessen und einen Aktionsplan zu entwickeln», sagte Jürg Utzinger, Direktor des Swiss TPH, in seiner Eröffnungsrede.

Die wichtige Rolle von Partnerschaften

Erika Placella, Leiterin des Globalprogramms Gesundheit der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA), sprach über die wichtige Rolle der Schweiz bei der Bekämpfung von vernachlässigten Tropenkrankheiten, insbesondere angesichts der Vielzahl der in der Schweiz ansässigen Akteure – von der Wissenschaft über internationale Organisationen, Product Development Partnerships und NGOs bis hin zum Privatsektor.

Denise Baratti-Mayer, Ärztin am Universitätsspital Genf, gab einen Überblick über die Forschungsarbeiten zu Noma in den letzten 20 Jahren. Sie erinnerte die Zuhörer*innen daran, dass es zwar wichtig ist, spezifische Lücken zu schliessen, wie z. B. die Erforschung der genauen Ursache von Noma, dass wir aber die Kinder in den Mittelpunkt aller Bemühungen stellen müssen, um eine frühzeitige Erkennung und Behandlung zu gewährleisten.

Daniel Argaw Dagne, Leiter der Abteilung Prevention, Treatment and Care, Department of Control of Neglected Tropical Diseases (NTDs) bei der WHO, stellte die «NTD Roadmap 2021-2030» der WHO und die Ziele in Bezug auf Noma vor. Er sprach insbesondere über die Wichtigkeit, verschiedene NTDs, die die Haut betreffen, wie Noma, Lepra oder Krätze koordiniert anzugehen, beispielsweise in den Bereichen Früherkennung, Diagnose, Kapazitätsaufbau und Lobbyarbeit.

«Wir können noch mehr tun, fangen wir heute damit an»

Die Perspektive von Noma-Überlebenden stand im Mittelpunkt der anschliessenden Podiumsdiskussion. Sowohl Mulikat Okanlawon, Präsidentin und Mitbegründerin von Elysium, der Vereinigung von Noma-Überlebenden, als auch Vava Muendane, Mitglied von Elysium, berichteten über ihren beeindruckenden Weg von der Noma-Erkrankung im Kindesalter über die Stigmatisierung in ihrem Dorf und plastische Chirurgie bis hin zu dem, was sie heute sind: weltweite Vorkämpfer gegen Noma.

Ihre Berichte verdeutlichten die anhaltenden physischen und psychischen Auswirkungen der Krankheit und die Notwendigkeit, Noma-Überlebende in die Forschung einzubeziehen. Okanlawon rief das Publikum auch zum Handeln auf: «Wir haben bereits viel erreicht, indem wir Noma auf die Liste der vernachlässigten Tropenkrankheiten gebracht haben, aber wir können noch mehr tun, lasst uns heute damit anfangen. Ich zähle auf Sie: helfen Sie mit, dass es Noma bald nicht mehr gibt.»

Neues Paradigma für die Erforschung von NTDs

Am Nachmittag arbeiteten die Teilnehmenden in fünf Gruppen an verschiedenen Aspekten der Forschungsagenda, darunter Noma-Überwachung und -Prävention, physisches und psychisches Wohlbefinden von Noma-Betroffenen, Krankheitsstadien, sowie rekonstruktive Chirurgie und therapeutische Aspekte von Noma.

Die Teilnehmenden betonten, wie wichtig es sei, konsistente und verlässliche Daten für die weitere Forschung zu generieren, Noma in bestehende Überwachungs- und Aufklärungsprogramme zu integrieren (z.B. Ernährung, Gesundheit von Mutter und Kind), und die sozialen und wirtschaftlichen Auswirkungen auf die Noma-Überlebenden zu berücksichtigen.

«Es geht nicht nur darum, eine Forschungsagenda zu definieren, die diese unverhältnismässig wenig beachtete Krankheit aus ihrem Schattendasein holt», sagte Marianne Comparet, Direktorin der Internationalen Gesellschaft für vernachlässigte Tropenkrankheiten. «Wir wollen auch ein neues Paradigma für die Art und Weise schaffen, wie Forschung zu einer Vielzahl vernachlässigter Krankheiten konzipiert und durchgeführt wird.»

Die Teilnehmenden waren sich einig, dass die Ausrottung von Noma möglich ist, wenn Akteure aus verschiedenen Bereichen und Disziplinen zusammenarbeiten. «Niemand sollte an einer Krankheit leiden oder sterben müssen, die vermeidbar und behandelbar ist», sagte Anaïs Galli, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Swiss TPH und Mitorganisatorin des Symposiums. «Die Lösung liegt in unseren Händen: wir müssen über Grenzen und Fachbereiche hinweg zusammenarbeiten, um Ernährungssicherheit, Zugang zu Gesundheitsversorgung, verbesserte Hygiene und letztlich ein weltweite Verringerung der Armut zu erreichen.»

Langjährige Erfahrung auf dem Gebiet der vernachlässigten Tropenkrankheiten

Das Swiss TPH blickt auf eine lange Tradition in der Arbeit auf dem Gebiet der vernachlässigten Tropenkrankheiten zurück. Diese reicht von der Grundlagenforschung über die Entdeckung und Entwicklung von Medikamenten und die Ausbildung bis hin zu Gesundheitsinterventionen, Stärkung von Systemen und Politikberatung. Im Jahr 2022 war das Swiss TPH Co-Autor einer bahnbrechenden systematischen Übersichtsarbeit in der Fachzeitschrift The Lancet Infectious Diseases, die eine wichtige wissenschaftliche Grundlage für die Aufnahme von Noma in die WHO-Liste der NTDs lieferte.

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